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Harald Petzold

Eine Legende geht vorerst zu Ende

Zur Wahl standen vier Kandidaten:

  • Hugo Martínez vom regierenden Frente Farabundo Martí para la Liberación Nacional (FMLN);
  • Carlos Calleja von der ultrarechten oppositionellen Alianza Republicana Nacionalista (ARENA);
  • Nayib Bukele von der politischen (Selbst-)Neugründung Nuevas Ideas und aus wahlrechtlichen Gründen Kandidat der konservativen Gran Alianza de Unidad Nacional (GANA - Abspaltung von ARENA) sowie
  • Josué Alvarado von der evangelikalen Bewegung “Vamos“.

FMLN, die legendäre Guerillaorganisation der 1980er Jahre, hatte 2009 zum ersten Mal die Präsidentschaft gewonnen. Im Jahr 2014 konnte sie, mit dem ehemaligen Comandante Salvador Sánchez Cerén und einer hauchdünnen Mehrheit die Präsidentschaft gegen ARENA verteidigen. Bei den auf die Präsidentschaftswahlen jeweils folgenden Parlamentswahlen 2012 bzw. 2015 jedoch verlor FMLN seine Parlamentsmehrheit an die ARENA und damit wesentliche politische Gestaltungsmöglichkeiten. Dieser Trend verstärkte sich bei der Parlamentswahl 2018 mit einem `Absturz´ von 37 auf 26,7 Prozent (ARENA legte von 40,4 auf 42,7 Prozent zu).

Die Präsidentschaftswahl 2019 gewann mit 53,03 Prozent der ursprünglich als `Außenseiter´ gestartete Nayib Bukele von NI/GANA vor den Kandidaten Carlos Calleja (ARENA – 31,77 Prozent), Hugo Martínez (FMLN – 14,42 Prozent) und Josué Alvarado (Vamos – 0,78 Prozent). Der bisherige Präsident Salvador Sánchez Cerén vom Frente konnte aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht erneut kandidieren.

Politische Blokade nutzte Bukele

Die politische Situation vor der Wahl war für die FMLN schwierig, denn trotz zahlreicher Verbesserungen der sozialen Lage einer Mehrheit der Bevölkerung gelang es nicht, sich unter den Wählenden als gesellschaftliche Gestaltungskraft zu etablieren.

Seit der Parlamentswahl 2015 blockiert ARENA alle politischen Initiativen und Projekte, die auf internationale Zuwendungen oder Zuschüssen angewiesen sind. Der Aufnahme von Krediten auf dem Finanzmarkt widersetzte sich ARENA mit dem Hinweis einer zu hohen Staatsverschuldung, obwohl sie selbst es waren, die die Staatsverschuldung auf den heutigen astronomischen Stand gebracht haben.

Zunächst erfolgreiche Projekte der FMLN, wie die Einführung kostenloser Schulkleidung und Schuhe für alle Kinder, legte ARENA `trocken´, indem sie Folgefinanzierungen blockierte. Im Wahlkampf dann wies ARENA allerdings auf diese unfertigen Projekte hin und deutete sie als Beweis für die Regierungsunfähigkeit der FMLN.

Ab März 2018 mussten sogar zudem die ersten offenen Roll-back-Aktionen ARENA's, wie eine Initiative zur Privatisierung der Wasserversorgung, von der FMLN abgewehrt werden. FMLN und ARENA bezichtigten sich gegenseitig der Korruption.

Die politische Blockade und die gegenseitigen Schuldzuweisungen boten schließlich der Kampagne von Nayib Bukele beste Bedingungen: „Die da oben sind alle gleich!“

Beliebt unter jungen Wähler*innen

Bukele war vor der Gründung seiner eigenen Partei, der Nuevas Ideas, selbst Mitglied der FMLN und Bürgermeister der Hauptstadt San Salvador. Aufgrund seiner unverhüllten Ambitionen auf das Präsidentenamt sowie eigenmächtiger politischer Initiativen abseits der FMLN-Linie wurde er 2018 aus der Partei ausgeschlossen. Zahlreiche Frente-Mitglieder und -Sympathisant*innen hielten diese Entscheidung aufgrund seiner Popularität für falsch.

Seine Wahlkampagne organisierte Bukele fast ausschließlich via Internet und in den sozialen Medien. Finanziert von seiner vermögenden Familie und unterstützt von einer wachsenden Zahl internet-affiner junger Leute, nutzte er dort alle technischen `Kommunikations´-Möglichkeiten bis zum Manipulativen und schreckte selbst vor Fälschungen nicht zurück. Er vermied die direkte Auseinandersetzung mit den übrigen Kandidaten, nannte sie schlicht „Vertreter des alten Systems“ und inszenierte sich selbst als unabhängig vom „korrupten alten System“. Programmatisch eher unverbindlich und unkonkret, nutzte er schließlich die Popularität einzelner Frente-Projekte, die in deren Regierungszeit nicht vollendet wurden, um sich sowohl als künftiger „Macher“ zu präsentieren als auch seine ehemaligen politischen Mitstreiter*innen als unfähig darzustellen.

So dominierte er ab November 2018 die Umfragen. Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass er sich – um überhaupt kandidieren zu können – der GANA andiente, einer Partei, deren Gründer erst im vergangenen Jahr wegen nachgewiesener Korruption zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt worden war und die, wie ARENA, eine Rückkehr zur autoritären Ära vor 2009 wünscht. Vor allem unter jungen Wähler*innen übten die ständig steigenden Umfrage-Werte den entscheidenden Wechselstimmungs-Sog aus.

Zugute kam Bukele auch seine Beliebtheit als Bürgermeister San Salvadors. Dort hatte er – seinerzeit noch mit erheblicher Unterstützung der FMLN – durchaus respektable und öffentlichkeitswirksame Projekte sowohl sozialer als auch nachhaltiger oder kommerzieller Art umgesetzt. All dies nützte seinem Image als junger, unverbrauchter, unkonventioneller, unideologischer Politiker (die berühmten Stichworte neoliberal ausgerichteter Populistenkampagnen).

 Mehrere Mitglieder und Funktionäre der FMLN räumen ein, man habe Bukeles Zugkraft sowie den Sog seines Internetwahlkampfes unterschätzt, ebenso seine finanziellen Möglichkeiten, mit denen man nicht habe mithalten können.

Veränderungen in den USA und Lateinamerika wirkten negativ

Zu diesen innenpolitischen Entwicklungen kamen grundsätzliche Veränderungen der internationalen Kräfteverhältnissen hinzu. Die Präsidentschaftswahlen in den USA und die politischen Entwicklungen in Lateinamerika generell wirkten negativ auf die FMLN in El Salvador.

Es ging entscheidende außenpolitische Unterstützung verloren, was zu einem härteren Kurs der Weltbank und des IWF gegenüber der Regierung El Salvadors führte. Dadurch wurde das Land auf einen gegenüber diesen Institutionen freundlicheren Kurs gezwungen, was wiederum negative Folgen für die Glaubwürdigkeit der linken Regierung hatte. Als Vertreter dieses politischen Kurses der Regierung wurde in der Öffentlichkeit der langjährige Außenminister und Präsidentschaftskandidat der FMLN, Hugo Martínez, wahrgenommen.

Schließlich sind auch interne Probleme der inhaltlichen, strategischen und operativen Ausdifferenzierung innerhalb der FMLN unter den Ursachen der Wahlniederlage zu nennen.

Insider der politischen Szenerie im Lande beklagen z.B. den zunehmenden Verlust eines politischen Miteinanders mit sozialen Bewegungen, Aktivist*innen und außerparlamentarischen Akteur*innen. Außerdem seien Ergebnisse von Programmen, die den Alltag vieler Menschen verbesserten, zu stark als Geschenk und zu wenig als Erfolge eines gemeinsamen politischen Kampfes kommuniziert worden. So ging die Verankerung dieser Programme als linke Transformationserfolge vor allem bei jüngeren Wähler*innenschichten verloren, die keinen persönlichen Bezug mehr zum Bürgerkrieg haben.

Andererseits sei kritische Reflexion und Evaluation der Projekte der FMLN zunehmend zugunsten von „politischer Geschlossenheit“ zurückgestellt worden, was die kreative Stimmung der Aufbruchsjahre nach 2009 einem Gefühl von Resignation, Ratlosigkeit und Lähmung weichen ließ.

Führungswechsel steht an

Die ersten Reaktionen der FMLN am Wahlabend und in den ersten Tagen nach der Wahl spiegelten den Schock über die schwere Niederlage wider. Aber auch die inhaltlich-programmatische Differenzierung des FMLN kam zum Ausdruck. Während die in weiten Teilen der Basis der FMLN sehr beliebte Vizepräsidentin des Parlaments Lorena Pena einen konsequenten Oppositionskurs des FMLN zu Nayib Bukele und die Fortsetzung des Kampfes für soziale Gerechtigkeit ankündigte, gratulierte Vizepräsident Oscar Ortíz per Twitter dem Wahlgewinner nahezu überschwänglich.

Die Wahlniederlage führt in den nächsten Monaten wahrscheinlich auch zu einem Führungswechsel in der FMLN. In einer Erklärung der politischen Kommission der FMLN wurde ein tiefgründiger Dialog innerhalb der Partei angekündigt und darüber hinaus die für Dezember 2020 geplante Neuwahl der FMLN-Führungsgremien auf dieses Jahr vorgezogen. Die jetzigen Mitglieder der politischen Kommission würden sich dabei nicht wieder um ein Amt bewerben, heißt es darin.